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weiß

by Gerald Fiebig

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1.
weiß i 00:54
i weiß das myzel, das durch die stimmbänder wächst. als schattengeflecht zeigt es sich auf der lunge, mit dem du im gitter des brustkorbs feststeckst. schwammüberwuchert das totholz der zunge. weiß schmeckt der pilz, an dem du abwesend leckst. weiß riecht das hühnerfleisch, das zarte junge. weiß spürst du auf der hand, die in die leere du streckst. weiß hat dir längst in den ohren geklungen. weiß ist deine seele, weiß wie schnee weiß & rein & klar & leer & frei von jeder finte weiß wie ein kopf, zum bloßen knochen verdammt. weiß & dünn wie papier ist das eis auf dem see, unter dem du ruderst, atemlos in der tinte; der see, ihr worte, auf dem ihr ans licht schwammt.
2.
weiß ii 00:59
ii der see, ihr worte, auf dem ihr ans licht schwammt, meint meer. im watt wispert wortlos der gischt, regenbogenweiß auf sand, vom salznass verschlammt. das sehen: ein gesicht, ein sinn, vom meer verwischt. in den sand schrieb ich deinen namen & hab ihn verdammt. der weiße wellenschaum ist älter als namen, gefischt hab ich darin nach ziellos treibenden wörtern, entflammt sind meine augen in weißglut, bevor die sonne erlischt. das weißbuch des strandes am abend spricht bände. kühle chiffren aus strandgras, der malgrund sandig & heiß, komponiert aus brandung, die ins festland wächst. unsere körper aus wasser & salz & kalkweiß wie wände. die flammenschrift des körpers auf einer tafel aus eis. das heisere bellen der wellen beißt ins stimmband zunächst.
3.
weiß iii 00:56
iii das heisere bellen der wellen beißt ins stimmband zunächst. grellweiß & sprachlos deine isolationszellenwand, in deren schaumstoff du die reste deiner stimme nicht schmeckst. das lungenrauschen ist das einzige signal auf dem band. mit tauben fingern im magnetbraille, wenn du die aufnahme checkst: ein hauch gewordner blindband, ein weißbuch im absenzbestand, an dessen rändern du glossen in deiner handschrift entdeckst, durch salzwasser unleserlich wie jede sandschrift am strand. die sprache spielt mit gegenständen stille post, bis kein wort mehr einer wirklichkeit gleicht. schrift ist weißer raum, von schwarz durchflammt. sprache: blanke schwarze platte, in die weißer rost- fraß das monochrome ich als borkenkäferspur einbleicht, weiß wie eine totenmaske auf schwarzem samt.
4.
weiß iv 00:59
iv weiß wie eine totenmaske auf schwarzem samt ist bedrucktes papier, & geduldig. das warst du nicht. die reibung deiner loopings hat leinwand entflammt. bei deinem viel zu kurzen suchflug: nachtlandung auf sicht. zahlen wurden dir zum leib, der einer hellen welt entstammt gesichter wurden dir geschichten & dann zum gedicht. lachend der welt ihren wahn in die fresse gerammt hast du, doch gabst du der liebe das rechte gewicht. weiß die sonne auf dem kies bei deiner totenfeier. weiß & grau deine asche, in die urne gesperrt. ein farbgemisch wie du, zur leidenschaft verhext, zu krebs zuletzt, chemie & flamme. dein befreier hat deiner tochter fleckenweiß dein bild verzerrt. in ihrer mutter sprache webt sich deine seele: text.
5.
weiß v 00:56
v in ihrer mutter sprache webt sich deine seele: text. textum, das gewebte. wie ein fertig gewobenes tuch schneidest du mich ab. gewebe, das nicht mehr wächst, leer & weiß wie ein unbedruckt gebundenes buch. ein blindband, in den du witternd deine nase steckst. mit farben nicht zu beschreiben ist der geruch von papier. »es riecht weiß.« mit diesen worten weckst du kein empfinden. sprache wird nicht sinn, bleibt spruch. denke daran, unser leben ist nur ein hauch & endet im leichentuchweiß der gespenster. bis dahin sind wir in dieses leben verdammt. schon zeigt sich weiß der erste reif auf dem strauch. steif gefroren die sprache & die welt vor dem fenster, weiß & kalt gefliest wie ein geschlossenes amt.
6.
weiß vi 00:57
vi weiß & kalt gefliest wie ein geschlossenes amt, weiß wie vom milchglas ungebrochenes licht, wie das geborstene eis, das die titanic gerammt, ist der steinapfel auge im augenblick, bis er bricht. weiß wie der reis, der aus den genlabors stammt, weißer als natur, hüllenlos zugleich & blickdicht, ist das fleisch um die wörter, der chlorbleiche samt, der geduldige hochglanz, der leuchtet, nicht spricht. leis ist die mundart, die zwischen den zeilen flüstert. der buchstabierende mund, der vom schriftbild ablenkt. der stumm mitspricht, so gut du ihn auch versteckst. leis ist das geräusch, das beim umblättern knistert. geträumtes wimmern im rumpf, das den schiffsleib versenkt. es ist spät. pass auf, dass du niemanden weckst.
7.
weiß vii 00:51
vii es ist spät. pass auf, dass du niemanden weckst mit deinem heißluft-wortstrom aus zeichengedeutel aus dem mundofen, in dem kleine brötchen du bäckst aus weißmehl, oder sind es am ende windbeutel? windsäcke sind’s, die du ins herrschende klima streckst, in die weiße wolkendecke überm kopf der schlichten leutel, unendlich formbares papier, mit dem du nirgends aneckst. macht das herrscherklima dich nass, dient es dir auch als feudel. im speichel deines angesichts sollst russisch brot befeuchten du, sonst wirst du festgebacken, dein wortteig flutscht nicht richtig, bist belammt – belämmert! (auf der schweren zunge knackt der code), in weißen nächten sitzt dir grelle aphasie im nacken, unter weißem schimmel sind sie verstummt allesamt.
8.
weiß viii 00:58
viii unter weißem schimmel sind sie verstummt allesamt. weiß wie steinapfelblüten, die in kaffeetassen schneien. weiß wie porzellan, das durch den ersten schnee schrammt, während die polterabendgäste im klirrenden nebel schreien. weiße seiten, auf denen, schwarze zeichen, ihr schwammt: comics sind stummfilme, deren schrifttafeln schreien. die befreiung der schrift vom papier regelt irgendein amt. stundensätze werden manchmal ausbezahlt in schalmeien. ein &-förmiges schamhaar liegt auf den fliesen deines klos wie eine schwarze zahl auf weißem papier. eine zahl, die dich, in buchstaben ausgedrückt, blendet, treibt industriezweige & stammhäuser in überproduktionskrisen, schwarz geschlagene weißbuchen füttern unsere buchstabengier. weiß wie die blutkörper, die niemand dir spendet.
9.
weiß ix 00:52
ix weiß wie die blutkörper, die niemand dir spendet, wenn der leukozytenwert zur hölle fährt weiß wie die bundesschatzbriefe, verpfändet, damit ihr graues wasserzeichen die flut abwehrt, die dir bis zum hals steht, das haus wegspült: es endet dein rentenanspruch mit dem krankenstand: genährt hast du das system über zeiten, die jäh sich gewendet. kein geldtransfer, keine transplantation: verkehrt ist dieses land wie das wetter überm braunkohlerevier. die tagebauten fressen die häuser. steril der boden & weiß die wolken wie die tracht der hebammen. fruchtlos scheint der protest gegen die priester der gier, storchenweiß die fossile luft. fruchtlos die hoden, weiß wie das eiweiß (auf nährstoffdiagrammen).
10.
weiß x 00:47
x weiß wie das eiweiß (auf nährstoffdiagrammen), das die niere nicht schnell genug aus dem körper spült. weiß wie das fett an den schweinespeckwammen, bei deren anblick jede frau sich zu dickleibig fühlt. weiß wie das sperma, das umgeschulte hebammen auf samenbankkonten buchen – tiefgekühlt. schwarze striche auf weiß fassen gencodes zusammen, patentiertes leben wird an den börsen verspielt. weiß wie die weste des nachbarschaftspäderasten, weiß wie die laken im leeren kinderzimmer, weiß wie die tabletten der opfer, der mütter. weiß wie die haut nach erbrechen & fasten. vampirweiß die adern, im körper gewimmer verwaist wie ein offener sarg im gewitter.
11.
weiß xi 00:47
xi verwaist wie ein offener sarg im gewitter: krankenhausflure & die weißen zähne der pfleger. von schimmel befallene neurotransmitter & das weiße in den augen der jäger, aus gespaltenen seelen kopieren sie das gezitter, daraus werden patente für neue ableger von pharmakonzernen. die manager werden fitter & die versuchspersonen zum bettvorleger. weiß wie lila flieder vor dem klinikfenster, wenn er vor angst & vor wut die knöchel ballt. weißes rauschen, das dein rückenmark dir sendet. weißes leinen: die dunkle materie tagheller gespenster, weiß wie der rachen des himmels über dem wald. weiß wie die seite aus holzbrei, auf der die welt endet.
12.
weiß xii 00:49
xii weiß wie die seite aus holzbrei, auf der die welt endet, grau wie gehirnmasse, die aus dem schädel spritzt, schwarz wie der punkt, der die seite beendet, schwarzweiß wie das bild, das ins erinnern sich ritzt. grauenvoll wie der schlag, der die zeiten beendet, der krieg, das grauen, das im bildarchiv sitzt. aschfahl wie der leser, der die seiten wendet, blendend weiß wie der laser, der die erde aufschlitzt. weiß wie die flecken auf den weltscheibenkarten, wie die haut der mönche, die sie ausmalen wollten. als schwarze farbe nahmen sie den ruß von flammen aus holz von einem baum aus dem paradiesgarten. weiß geblutet die /farbigen völker/: sie sollten die tür zum paradies gefälligst nicht einrammen.
13.
weiß xiii 00:59
xiii die tür zum paradies gefälligst nicht einrammen! sie wird von einem privaten sicherheitsdienst überwacht. am horizont steht die sonne, dahinter afrika in flammen, davor die masten für den strom & sendemasten der macht. unterm horizont die sonne, dafür steht babel in flammen. die drähte laufen heiß, die weißglut der bildröhre kracht & hinter irgendeinem bohrturm, von panzern mit schrammen, wird makellos geplant der nächste anschlag entfacht. weiß das gewissen der täter auf allen beteiligten seiten, der himmelsbildschirm, aus dem ameisen & heuschrecken regnen. wie wasserloses gras der wüstentreck. der wüstenwind als schnitter. auf dem satellitenbild die wanderer in sandigen weiten. weißer drahtverhau europa, dem sie in marokko begegnen. die fremdenlegion bezahlt von konzernen. das wasser schmeckt bitter.
14.
weiß xiv 01:00
xiv die fremdenlegion bezahlt von evian. das wasser schmeckt bitter. verträge machen es zu geld & unsere körper zu asche. wir sind die kohle, die den konjunkturofen schürt. immer fitter wird dadurch der moloch. der markt. die stets gleiche masche. der betriebswirtschaftlich geführte sozialstaat: ein perverser zwitter. dem nackten, der nichts hat, greift er blitzlichtbewehrt in die tasche. was unbezahlbar ist, besteuert er: das denken, die liebe der mütter, & die arbeit, zu der er uns zwingt, ist so real wie der geist in der flasche. gegen das schwarz in den köpfen helfen nur wunder, nicht kerzen. dann holen wir aus den schwarzen kassenschubladen geigen. mit deren salven wird aus dem arsch der welt ein himmel geflext. doch fehlen mir die worte, die verblendung anzuschwärzen. die nacht hüllt uns in regenhaut aus teerweißem schweigen. weiß das myzel, das durch die stimmbänder wächst.
15.
weiß xv 01:00
xv weiß das myzel, das durch die stimmbänder wächst, der see, ihr worte, auf dem ihr ins licht schwammt, das heisere bellen der wellen beißt ins stimmband zunächst. weiß wie eine totenmaske auf schwarzem samt in ihrer mutter sprache webt sich deine seele: text, weiß & kalt gefliest wie ein geschlossenes amt. es ist spät. pass auf, dass du niemanden weckst. unter weißem schimmel sind sie verstummt allesamt. weiß wie die blutkörper, die niemand dir spendet weiß wie das eiweiß (auf nährstoffdiagrammen), verwaist wie ein offener sarg im gewitter. weiß wie die seite aus holzbrei, auf der die welt endet. die tür zum paradies gefälligst nicht einrammen! die fremdenlegion bezahlt von konzernen. das wasser schmeckt bitter.

about

2005 beendete Gerald Fiebig das letzte Gedicht in seinem Buch "geräuschpegel" mit dem Wort "weiß".

Der Sonettenkranz "weiß" schließt direkt daran an. Er wurde 2005 geschrieben, aber erst 2019 in der Zeitschrift "manuskripte" abgedruckt. Öffentlich vorgetragen wurde er nur einmal 2020 in einer Livesendung des Literaturkanals Augsburg.

Diese Einzelpublikation von "weiß" als Lesung des Autors erscheint parallel zu Gerald Fiebigs gedrucktem Gedichtband "motörhead klopstöck" (parasitenpresse 2020), der direkt beim Verlag erhältlich ist unter parasitenpresse.wordpress.com.

credits

released June 25, 2020

Geschrieben 2005, abgedruckt 2019 in "manuskripte" Nr. 225.
Bestellung unter www.manuskripte.at.
Der Autor dankt Bernd Lüttgerding für Anregungen und Kritik.

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