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Radioworks 02: Utopia wohnt nebenan

by Gerald Fiebig & Eri Kassnel

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about

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Original programme notes from 2015:

Abstract
25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges ist vielerorts wieder eine große politische Distanz zwischen Westeuropa (z.B. Österreich) und Osteuropa (z.B. Rumänien) auszumachen. Allein schon an den historischen Wahlverwandtschaften zwischen den Städten Wien und Timişoara lässt sich festmachen, dass dies ein Zerrbild ist. Für das Stück Utopia nebenan bewegen sich die Autor_innen durch die beiden Städte, inspiriert vom situationistischen Konzept der psychogeographischen Erkundung. Ausgangspunkte des ‚Umherschweifens’ sind jeweils die Stadtteile Innere Stadt und Josefstadt (die es aufgrund der gemeinsamen Geschichte in Wien und Timişoara gibt). Aus den dabei gesammelten Fieldrecordings komponieren sie die Klanglandschaft einer utopischen Stadt, in der der Gegensatz von West und Ost außer Kraft gesetzt ist. In die Komposition eingewoben sind O-Töne mit Zeitzeug_innen, die sich an solidarisches Zusammenleben in Wien bzw. Timişoara unter schwierigen sozialen und politischen Bedingungen in unterschiedlichen Phasen des 20. Jahrhunderts erinnern. Die Zitate werden anhand gemeinsamer thematischer Motive in einen dialogartigen Bezug zueinander gesetzt, die den Blick auf den „Überschuss des Möglichen im Wirklichen“ (Erich Köhler) der realen Geschichte von Österreich und Rumänien eröffnen. Die Sprecher_innen sind Friederike Brenner (geboren 1923 in Mödling bei Wien) und Johann Kassnel (geboren 1932 in Jahrmarkt bei Timişoara).

Konzept
Utopia, der ‚Ort, den es nirgends gibt’, wird in Anknüpfung an Thomas Morus, der den Begriff erfand, häufig als ein Ort verstanden, den es erst zu verwirklichen gilt, der also in der Zukunft liegt. Bis dahin existiert Utopia nur in der Imagination. Aber wie kommt man überhaupt zu einem utopischen Bild der Zukunft? Und wie hat man sich den Übergang vom real existierenden Jetzt in die Zeit der verwirklichten Utopie vorzustellen?

Bereits in früheren Arbeiten von Eri Kassnel und Gerald Fiebig findet sich die Idee, dass ‚Utopie’ als Entwurf eines ‚ganz anderen’ Ortes, als Sehnsuchtsort bzw. Gegenentwurf, der die persönliche oder auch politische Gegenwart konterkariert, sich nicht nur aus der Zukunft, sondern auch aus der Vergangenheit speisen kann. In Arbeiten wie Rückkehr ins Paradies oder dem Work-in-progress Briefe nach Utopia thematisiert Kassnel beispielsweise die kreative Rolle der Imagination bei der Rekonstruktion vergangener Epochen. Häufig arbeitet sie dabei mit biographischen Versatzstücken aus dem Umfeld ihrer Familiengeschichte: Wie viele Familien aus der rumäniendeutschen Community der Banater Schwaben übersiedelten die Kassnels Ende der 1970er Jahre aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland. Ebenfalls ein biographischer Bezug, in diesem Fall zu einem der antifaschistischen Kämpfer im Wien des Februar 1934, bildet eines der Substrate für Fiebigs Radioarbeit 12.02.1934, die das ORF Kunstradio 2014 gesendet hat – eine von mehreren Arbeiten Fiebigs, die historische Epochen durch Klangmaterialien damit verbundener Orte (im Fall des genannten Stücks der Wiener Karl-Marx-Hof) evozieren.

Vor diesem Hintergrund unternimmt die erste gemeinsame Arbeit der beiden Künstler_innen den Versuch, einen utopischen Ort aus der Überlagerung und Verflechtung von zwei realen Orten zu imaginieren, und zwar im Medium des Klangs. Aus Klängen der Stadt Timişoara und Klängen der Stadt Wien soll im Rahmen dieser radiophonen Komposition ein neuer, imaginärer Klangraum entstehen, der über die heute aktuelle Wirklichkeit hinausweist. Diese Wirklichkeit wird in politischer Hinsicht aktuell stark von einer ‚gefühlten Grenze’ zwischen Westeuropa und Osteuropa geprägt – Ressentiments gegen eine vermeintliche Überschwemmung des Arbeitsmarktes durch ‚Billigarbeiter’ aus Rumänien haben die politische Debatte in etlichen westeuropäischen Ländern seit der Öffnung des EU-Arbeitsmarktes Anfang 2014 geprägt. Das Stück setzt dagegen einen künstlerischen Gegenentwurf, der auf der Frage basiert: Was wäre, wenn West und Ost keine Gegensätze wären, sondern an einem utopischen Ort zusammenfallen würden?

Wien und Timişoara drängen sich als Ausgangspunkte für eine solche Arbeit aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte förmlich auf. Die Geschichte des Banats seit Beginn des 18. Jahrhunderts zeigt schlaglichtartig auf, dass diese dualistische Trennung von Ost und West eine aus der Zeit des Kalten Krieges überkommene Vorstellung ist, der eine viel längere Phase des Zusammenlebens verschiedener Communities im habsburgischen Mitteleuropa voranging. Bei der realen Beendigung dieses Dualismus kam gerade Timişoara eine Schlüsselrolle zu, nahm hier doch im Dezember 1989 die rumänische Revolution ihren Ausgang, die zum Ende der Ceausescu-Diktatur führte.

Wie die ‚persönlichen Utopien’ in den früheren autobiographisch geprägten Arbeiten von Kassnel und Fiebig wird also auch bei dieser politischen Utopie auf die Vergangenheit zurückgegriffen – eine Vergangenheit, die aufzeigt, was schon einmal möglich war, und was auf den in ihr angelegten Wegen noch möglich (gewesen) wäre. Die Wahlverwandtschaft der Städte beginnt schon damit, dass in Wien wesentliche politische Entscheidungen für die Entstehung der deutschen Community im Banat fielen, dessen Hauptstadt Timişoara ist. 1716 erobert Prinz Eugen die Stadt Temeswar von den Türken. Zur Neubesiedelung und Nutzbarmachung der von Kriegen entvölkerten Region wirbt die habsburgische Verwaltung Kolonisten aus unterschiedlichen deutschsprachigen Regionen an. Im Zuge der napoleonischen Kriege werden 1809 die kaiserlichen Reichsinsignien aus Wien nach Temeswar gebracht; nach dem Zerfall des Habsburgerreiches wurde das Banat 1920 zwischen Ungarn, Jugoslawien und Rumänien aufgeteilt, wobei letzteres den größten Teil erhielt.

Komposition
Die Beziehung zwischen der Habsburgermetropole Wien und der habsburgisch geprägten Stadtgeschichte Timişoaras seit 1716 lässt sich bis heute auf Stadtplänen ablesen. Timişoaras zentraler Stadtteil Cetate wird auf Deutsch wie der 1. Wiener Gemeindebezirk als Innere Stadt bezeichnet, und in beiden Städten findet sich ein Bezirk Josefstadt (rumänisch Iosefin). Bei der Realisation des Radiostücks dienen diese Stadtteile als Ausgangspunkte für Erkundungen mit laufendem Aufnahmegerät, um den Klang der Städte einzufangen. Anders als bei einer dokumentarisch oder klangökologisch motivierten Soundscape-Komposition, die gezielt bestimmte Klangsignaturen eines Ortes aufsucht, die als ‚repräsentativ’ für einen realen Ort verstanden werden, folgen die Autor_innen bei ihren Exkursionen der von den Situationisten entwickelten Methode des Umherschweifens, das man als ein gezieltes Sich-Verlaufen umschreiben könnte. Damit soll vermieden werden, dass den Städten bereits mit einer vorgefertigten Klang-Idee von ‚typisch Wien’ oder ‚typisch Timişoara’ begegnet wird – damit würde man nämlich Gefahr laufen, genau die Klischees von West- und Osteuropa zu zementieren, die man auflösen möchte. Die Komposition des neuen, utopischen Klang-Ortes soll sich aus den Klängen ergeben, die sich einfangen lassen, wenn man sich im Zuge des Umherschweifens „den Anregungen des Geländes und den ihm entsprechenden Begegnungen“ überlässt. Das Umherschweifen als „Technik des eiligen Durchquerens abwechslungsreicher Umgebungen“ gibt nämlich auch eine mögliche Antwort auf die eingangs gestellte Frage, wie der Übergang in die realisierte Utopie vonstattengehe. Denn für die Situationisten war das Umherschweifen eine Praxis, die – zwar mit politischem Hintergrund, aber zunächst im subjektiven Erleben – den Einbruch der Utopie in die Gegenwart ermöglichen sollte. Daher sahen die Situationisten das Umherschweifen „untrennbar verbunden mit der Erkundung von Wirkungen psychogeographischer Natur und der Behauptung eines konstruktiven Spielverhaltens, was es in jeder Hinsicht den klassischen Begriffen der Reise und des Spaziergangs entgegenstellt. Eine oder mehrere Personen, die sich dem Umherschweifen widmen, verzichten für eine mehr oder weniger lange Zeit auf die ihnen im allgemeinen bekannten Bewegungs- bzw. Handlungsmotive, auf ihre Beziehungen, Arbeits- und Freizeitbeschäftigungen“. Ziel dieser bewussten Suspendierung alltäglicher Verhaltensweisen – die im Fall dieses Projekts dadurch begünstigt wird, dass die Umherschweifenden im Alltag nicht in Wien oder Timişoara leben – ist die Erzeugung einer Fremdheit, die die Wahrnehmung von spezifischen atmosphärischen (‚psychogeographischen’) Eigenheiten des Ortes schärfen soll. Die im Zuge des Umherschweifens gesammelten Klang- (und Bild-) Materialien sollen in ihrer Kombination zu einem imaginären dritten Ort auch Bewohner_innen der realen Orte eine neue Perspektive auf ihre alltägliche Umwelt ermöglichen.

credits

released March 17, 2024

Composed, recorded and produced by Gerald Fiebig and Eri Kassnel
Commissioned by ORF "Kunstradio - Radiokunst"
Editor: Elisabeth Zimmermann
Original broadcast: 27 December, 2015
Released with kind permission of ORF "Kunstradio - Radiokunst"

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