1. |
Stördämpfung I
02:53
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2. |
Stördämpfung II
02:34
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3. |
Stördämpfung III
02:29
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4. |
Stördämpfung IV
04:25
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5. |
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heimatroman: blauer dunst
eine stimme
im raum
(trommel fell
welle haut)
kurzes erzittern
mikrofon
magnetspuren meine stimme
im raum ich
bin gegenwärtig
in dem bier das ich
getrunken habe
im rauch der zigarette die ich
geraucht habe
(verflüchtigt):
ohne rauch keine anwesenheit
im zug zurückblickend
auf das lichtnetz
der stadt
stadt die wege der kindheit:
wege nervenbahnen
nerven strom
(ein kurzes aufflackern):
ohne nerven keine nostalgie
ohne atomstrom keine heimat
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6. |
heimfahrt
02:24
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heimfahrt
wenn du vom bahnsteig
dahin schaust
wo der aschgraue see
sich in der asche
des himmels
verläuft
dann schaust du etwas an
& schaust dabei ins leere
blondiert mit schwarzen strähnen
das geschorene feld
in sepiaschatten zerfällt
die barocke kapelle
vor den augen & unter
einem himmel aus wellblech
in jedem tal seiner rippen
das nachdunkelnde licht
auf den platten
nimmt der besen den staub auf
den das auge nicht sieht
bevor der besen ihn aufwirbelt
unsichtbar für augen & ohren der rauch
der zigarette des nachbarn
im treppenhaus hängt seine ab
wesenheit als geruch
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7. |
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augsburg: neue universität
sprechverbot in der absegnungshalle der wörter:
jedes buch ein toter briefspind in der abluft des hangars,
der regalfront, in die der traditionsstrom versickert
& schwärme von mikrofiche
ins schweigen ausschwemmt.
(wir sitzen hier in der panzerglaszelle
& sprechen in die abgedämmte luft)
nach der schallmauer, auf dem weg
durch die konservenlichtsäle,
hängen stauffenberg & brecht in den hörgang:
großformatig raubkopierte geschichte.
das korn im grobraster schweigt.
(wir sitzen hier & sprechen in bildern:
schlafgestörte dornröschen)
draußen vor der schleuse
zu den hellgelben hallen,
draußen vor der rasenpiste aus stein:
die fabriken, die straßen, die zimmer
wurden stets nach professoren benannt.
(wir sitzen hier in unserer sprechzellenferne
& reden über den arbeiterzwang)
sprechverbot in der versuchsabteilung.
seit damals jedes buch im spind,
jeder frontbrief: ein toter.
der volkssturm versickerte in flugbenzintanks.
die pilotenfische trieben bäuchlings am himmel.
(wir sitzen hier im abraum & reden
vom braunen potenzial der fabriken)
die bibliothek & die professor-messerschmitt-strasse
folgen dem aufriss der hangars,
der bomberteststrecke.
blaues zucken hinter den fadenkreuzen der wände,
aug in auge mit dem sperrfeuer im fensterfrontabschnitt
(wir sitzen hier bei messerschmitt
& keiner hat ein messer mit)
in der neuen universität auf dem alten flugplatz.
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8. |
stadtgrenze
02:49
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stadtgrenze
hinter dem friedhof
die panzerteststrecke
der märzwind schneidet
in die blaue haut
wolken aus watte
quellen hervor
* 1941
† 2002
die schnellstraße äcker
ein aussiedlerhof
dahinter der baggersee
dahinter die hügel
als ihr hier gespielt habt
fuhren noch weniger autos
gelbes schild mit städtenamen
von graffiti bedeckt
die großbäckerei
hinter der wiese
steht schon im anderen
landkreis
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9. |
grabmal
04:42
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grabmal
meine großmutter kochte mir kaffee & sprach
von der am vortag verstorbenen tante
so nannten wir sie seit meiner kindheit sie war
die schwägerin meiner großmutter den bruder
meines großvaters hatte sie kennengelernt
über die schwester der brüder beim reichsarbeitsdienst
er war als freiwilliger auf seiten francos in spanien
»& war halt ihr erstes – « meine großmutter stockte
die schwester war später verheiratet mit einem offizier
der amerikanischen military police & auf ihn
geht es zurück dass meine großmutter gerne »hillbilly« hört
die schwester die schwägerin drehte später das gas auf
die schwägerin die tante die gestern erst starb war als kind
tageweise ohne essen an einem küchenstuhl festgebunden
während die zweite frau ihres vaters die »eine edel
nutte« war aus dem haus ging die scheidung
zog sich hin unter hitler politisch nicht opportun noch dazu
war ihr vater polizeichef strafversetzungen folgten
ihr mann saß später ein paar jahre in nürnberg die jahre in spanien
wurden verschwiegen doch hatte die mutter zuvor
im luftschutzkeller mit den heldentaten des sohnes geprahlt
bei der entnazifizierung kam es heraus ihre ehe
nahm ihren lauf »die hätte einen gebraucht
wie unser opa« doch der witwer verdiene den tod
denke ich an diesen nachmittag schmeck ich das blut
& salzig die tränen meiner großmutter in meinem kaffee
»er hat geweint dass meine haare patschnass waren«
ihr neffe der sohn der verstorbenen tante die tränen
& das blut aus all diesen familiengeschichten
verschlungene linien in sütterlinschriften
die ich nicht entziffern kann ein blutiger knoten
der durch die stimme meiner großmutter konturen annahm
& manchmal schwiegen wir & saßen alleine zu zweit
im lauten & endlosen ticken der verstreichenden zeit
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10. |
heimat, verbunden
05:17
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heimat, verbunden
verbunden mit den pflaumenblüten im oster
strauch der großmutter & mit den kirsch
blüten an der amagasaki-allee mit dem mann
der am flussufer saxofon spielt
verbunden mit dem überrollten kadaver
der maus auf dem radweg verbunden
mit den leuten die am flussufer grillen
& picknicken am 16. märz auszutreiben
den winter verbunden mit den bananen
die großmutter mir eben geschenkt hat
ihrer stimme die erzählt vom reichsarbeitsdienst
& den nächtlichen feuergefechten & hinrichtungen
von partisanen in maribor & vielem anderen mehr
verbunden mit dem freund dessen vater vielleicht
heute abend noch stirbt & einem andern der sagte
»das kreiswehrersatzamt war mein erster eindruck
von dieser stadt« fahre ich durch ihre straßen verbunden
mit dem abendnebel verbunden mit menschen
leeren ausfallstraßen industrieruinen aus deren leeren
gesichtern die stahlbetonstangen hängen verbunden
mit der frau die im leeren café des einkaufszentrums
die scheiben putzt verbunden mit leuten die bühnen
bauen in industrieruinen wie dieser verbunden
mit den fingerabdrücken der wirklichkeit auf meiner
seele aus zeissglas die sie sichtbar machen in bluts
brüderschaft verbunden mit den spuren der sinne
die mich verbinden mit der wirklichkeit mich daran
erinnern dass ich lebe während andere sterben
niemals hat jemand mit einem gedicht
einem verletzten eine wunde verbunden
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