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heimatroman: blauer dunst eine stimme im raum (trommel fell welle haut) kurzes erzittern mikrofon magnetspuren meine stimme im raum ich bin gegenwärtig in dem bier das ich getrunken habe im rauch der zigarette die ich geraucht habe (verflüchtigt): ohne rauch keine anwesenheit im zug zurückblickend auf das lichtnetz der stadt stadt die wege der kindheit: wege nervenbahnen nerven strom (ein kurzes aufflackern): ohne nerven keine nostalgie ohne atomstrom keine heimat
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heimfahrt 02:24
heimfahrt wenn du vom bahnsteig dahin schaust wo der aschgraue see sich in der asche des himmels verläuft dann schaust du etwas an & schaust dabei ins leere blondiert mit schwarzen strähnen das geschorene feld in sepiaschatten zerfällt die barocke kapelle vor den augen & unter einem himmel aus wellblech in jedem tal seiner rippen das nachdunkelnde licht auf den platten nimmt der besen den staub auf den das auge nicht sieht bevor der besen ihn aufwirbelt unsichtbar für augen & ohren der rauch der zigarette des nachbarn im treppenhaus hängt seine ab wesenheit als geruch
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augsburg: neue universität sprechverbot in der absegnungshalle der wörter: jedes buch ein toter briefspind in der abluft des hangars, der regalfront, in die der traditionsstrom versickert & schwärme von mikrofiche ins schweigen ausschwemmt. (wir sitzen hier in der panzerglaszelle & sprechen in die abgedämmte luft) nach der schallmauer, auf dem weg durch die konservenlichtsäle, hängen stauffenberg & brecht in den hörgang: großformatig raubkopierte geschichte. das korn im grobraster schweigt. (wir sitzen hier & sprechen in bildern: schlafgestörte dornröschen) draußen vor der schleuse zu den hellgelben hallen, draußen vor der rasenpiste aus stein: die fabriken, die straßen, die zimmer wurden stets nach professoren benannt. (wir sitzen hier in unserer sprechzellenferne & reden über den arbeiterzwang) sprechverbot in der versuchsabteilung. seit damals jedes buch im spind, jeder frontbrief: ein toter. der volkssturm versickerte in flugbenzintanks. die pilotenfische trieben bäuchlings am himmel. (wir sitzen hier im abraum & reden vom braunen potenzial der fabriken) die bibliothek & die professor-messerschmitt-strasse folgen dem aufriss der hangars, der bomberteststrecke. blaues zucken hinter den fadenkreuzen der wände, aug in auge mit dem sperrfeuer im fensterfrontabschnitt (wir sitzen hier bei messerschmitt & keiner hat ein messer mit) in der neuen universität auf dem alten flugplatz.
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stadtgrenze 02:49
stadtgrenze hinter dem friedhof die panzerteststrecke der märzwind schneidet in die blaue haut wolken aus watte quellen hervor * 1941 † 2002 die schnellstraße äcker ein aussiedlerhof dahinter der baggersee dahinter die hügel als ihr hier gespielt habt fuhren noch weniger autos gelbes schild mit städtenamen von graffiti bedeckt die großbäckerei hinter der wiese steht schon im anderen landkreis
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grabmal 04:42
grabmal meine großmutter kochte mir kaffee & sprach von der am vortag verstorbenen tante so nannten wir sie seit meiner kindheit sie war die schwägerin meiner großmutter den bruder meines großvaters hatte sie kennengelernt über die schwester der brüder beim reichsarbeitsdienst er war als freiwilliger auf seiten francos in spanien »& war halt ihr erstes – « meine großmutter stockte die schwester war später verheiratet mit einem offizier der amerikanischen military police & auf ihn geht es zurück dass meine großmutter gerne »hillbilly« hört die schwester die schwägerin drehte später das gas auf die schwägerin die tante die gestern erst starb war als kind tageweise ohne essen an einem küchenstuhl festgebunden während die zweite frau ihres vaters die »eine edel nutte« war aus dem haus ging die scheidung zog sich hin unter hitler politisch nicht opportun noch dazu war ihr vater polizeichef strafversetzungen folgten ihr mann saß später ein paar jahre in nürnberg die jahre in spanien wurden verschwiegen doch hatte die mutter zuvor im luftschutzkeller mit den heldentaten des sohnes geprahlt bei der entnazifizierung kam es heraus ihre ehe nahm ihren lauf »die hätte einen gebraucht wie unser opa« doch der witwer verdiene den tod denke ich an diesen nachmittag schmeck ich das blut & salzig die tränen meiner großmutter in meinem kaffee »er hat geweint dass meine haare patschnass waren« ihr neffe der sohn der verstorbenen tante die tränen & das blut aus all diesen familiengeschichten verschlungene linien in sütterlinschriften die ich nicht entziffern kann ein blutiger knoten der durch die stimme meiner großmutter konturen annahm & manchmal schwiegen wir & saßen alleine zu zweit im lauten & endlosen ticken der verstreichenden zeit
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heimat, verbunden verbunden mit den pflaumenblüten im oster strauch der großmutter & mit den kirsch blüten an der amagasaki-allee mit dem mann der am flussufer saxofon spielt verbunden mit dem überrollten kadaver der maus auf dem radweg verbunden mit den leuten die am flussufer grillen & picknicken am 16. märz auszutreiben den winter verbunden mit den bananen die großmutter mir eben geschenkt hat ihrer stimme die erzählt vom reichsarbeitsdienst & den nächtlichen feuergefechten & hinrichtungen von partisanen in maribor & vielem anderen mehr verbunden mit dem freund dessen vater vielleicht heute abend noch stirbt & einem andern der sagte »das kreiswehrersatzamt war mein erster eindruck von dieser stadt« fahre ich durch ihre straßen verbunden mit dem abendnebel verbunden mit menschen leeren ausfallstraßen industrieruinen aus deren leeren gesichtern die stahlbetonstangen hängen verbunden mit der frau die im leeren café des einkaufszentrums die scheiben putzt verbunden mit leuten die bühnen bauen in industrieruinen wie dieser verbunden mit den fingerabdrücken der wirklichkeit auf meiner seele aus zeissglas die sie sichtbar machen in bluts brüderschaft verbunden mit den spuren der sinne die mich verbinden mit der wirklichkeit mich daran erinnern dass ich lebe während andere sterben niemals hat jemand mit einem gedicht einem verletzten eine wunde verbunden

about

Im Frühjahr 2015 bat mich Stefan Schulzki um eine Komposition für Sopran und Klavier/Elektronik. Sie sollte in einem Konzertprogramm seines Duos mit Beatrice Ottmann Verwendung finden. Das war für mich als Autodidakt, der eher im Bereich der elektroakustischen Phono-Graphie unterwegs ist als in der Notenschrift, eine große Ehre, aber auch eine Herausforderung. Unter Anwendung nahezu aller Methoden, die ich mir aus der experimentellen Musik – danke an dieser Stelle an Wolfram Oettl, der mir einst das Grundlagenwerk „Experimental Music: Cage and Beyond“ von Michael Nyman geliehen hat – und der jüngeren Konzeptmusik angeeignet hatte, erstellte ich die grafischen bzw. Text-Partituren „Stördämpfung“, „Münchner Klangtrilogie“, „Mozart für Marsianer“ und „A Brief History of Phonography“. Sie alle sind im PDF-Format in diesem Download-Album enthalten. Die Aufführungsrechte aller Stücke sind unter einer Creative-Commons-Lizenz (Attribution/Share Alike) kostenlos nutzbar.

Zur Aufführung kam dann „Stördämpfung“, und zwar am 05. Oktober 2015 im Leopold-Mozart-Zentrum in Augsburg bei dem Konzert „Sounds and Ballads“ von Beatrice Ottmann und Stefan Schulzki, veranstaltet vom Tonkünstlerverband Augsburg-Schwaben. Die Aufnahme auf diesem Album stammt aber nicht von der Uraufführung. Es handelt sich um den Mitschnitt einer Probe im Vorfeld des Konzerts, der sich in der Länge und dem Duktus durchaus in einigen Aspekten von der Uraufführung unterscheidet. Zwar existiert auch ein Mitschnitt der Uraufführung. Wir haben uns jedoch für die Veröffentlichung dieser Fassung entschieden, weil sie uns beim Hören als die gelungenere Improvisation erschien.

Denn, so paradox das klingen mag, darum ging es genau bei diesen Kompositionen: um Improvisation. Mein Ziel war, bestimmte klangästhetische und inhaltliche – Harry Lehmann würde sagen: „gehaltsästhetische“ – Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Komposition als abgrenzbares „Stück“ definieren sollten. Innerhalb dieses Rahmens sollten Beatrice und Stefan aber die maximale Freiheit der klanglichen Ausgestaltung als improvisierendes Duo haben. Dass ich die „Komponistenfunktion“ übernahm (so wie Michel Foucault von der „Autorfunktion“ spricht), die in westlich geprägter „Kunstmusik“ nun mal vorgesehen ist, war – wenn man so will – eine Art List, um zwei großartige Performer:innen aus der „dienenden“ Rolle der sogenannten „Interpret:innen“ in die ihnen zustehende Funktion von „(Mit-) Schöpfer:innen“ der Musik zu holen.

In einer musikalischen Kultur, die sehr stark von fixierten Noten-Texten geprägt ist – man spricht ja im Kontext von sogenannter E-Musik auch von der „Literatur“ für eine bestimmte Besetzung – können improvisatorische „Eigenmächtigkeiten“ leicht als Störung interpretiert werden. In musikalischen Subkulturen, die das improvisatorische Element in den Vordergrund stellen – am eindeutigsten natürlich in jenem Bereich, der bereits als Freie Improvisation firmiert – kann hingegen umgekehrt die Einschränkung des freien Spiels durch schriftliche Fixierung zur Störung geraten. Was musikalisches Signal ist und was Störung, ist relativ und kontextabhängig. Der Titel „Stördämpfung“ greift genau diese Unschärfe auf und lädt die Spieler:innen ein, die Grenze von „signal“ und „noise“ jeweils für sich selbst – vielleicht sogar von Fall zu Fall – auszuloten, denn: „Noise is always relational“ (Paul Hegarty in „Noise/Music: A History“). Denn das Wort „Stördämpfung“ vollzieht diese Unschärfe selbst: Es kann eine Dämpfung des erwünschten Nutzsignals durch das Störsignal bzw. Rauschen meinen – aber auch eine Dämpfung des Störsignals zur Verbesserung des Nutzsignals, also etwa dasselbe wie „Rauschunterdrückung“.

Das Spiel von Signal und Störgeräusch wird auf diesem Album aber nicht nur auf der konzeptionell-metaphorischen Ebene aufgeführt. Die Aufnahmen wurden nicht unter perfekten tontechnischen Bedingungen aufgenommen, da sie ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung geplant waren. Dies verbindet den Probenmitschnitt von „Stördämpfung“ mit dem anderen Teil des Albums: Die Tracks von „heimatroman: blauer dunst“ wurden aus den Livemitschnitten von zwei Aufführungen des Programms im Rahmen der „Langen Kunstnacht“ am 04. Juni 2016 in der Neuen Galerie im Höhmannhaus in Augsburg zusammengestellt. Als wir uns nun für die Veröffentlichung entschieden haben, galt es für alle Aufnahmen auch auf tontechnischer Ebene die richtige Balance zwischen tontechnischem Qualitätsanspruch und der unabweisbaren Präsenz des Livemoments zu finden – einer Präsenz, die manchmal gerade in der hörbaren Nicht-Perfektion der Aufnahme erlebbar wird.

Die Musik von „heimatroman: blauer dunst“ entspringt einzig und allein der improvisatorisch-kompositorischen Zusammenarbeit von Beatrice Ottmann und Stefan Schulzki. Mein Anteil daran sind die Texte, die die beiden aus meinem Gedichtband „normalzeit“ (Innsbruck: Edition Skarabaeus im Studienverlag 2002) ausgewählt haben. Dafür, dass diese Texte so lange nach ihrer Veröffentlichung durch die musikalische Performance nochmals einen derart starken Auftritt erhalten haben, bin ich Beatrice und Stefan sehr, sehr dankbar – ebenso wie für ihre Einwilligung, das Material zu veröffentlichen, und für die Unterstützung bei der Zusammenstellung des Albums. Im besten Fall dokumentiert es nicht nur eine für meine eigene Entwicklung sehr wichtige Zusammenarbeit, sondern auch ein genresprengendes Composer-Performer-Duo auf der Höhe seiner künstlerischen Zusammenarbeit, das die Grenzen zwischen Neuer Musik, elektroakustischer Improvisation, Noise/Industrial, Jazz und Pop einzureißen wusste wie kaum jemand anders, den ich kennenlernen durfte.

Gerald Fiebig, im November 2021

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released November 26, 2021

Fotos: Beatrice Ottmann (Cover), Stefan Schulzki

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